Framing in der Fluchtkrise: Was der „Grenzschutz“ schützt

An der türkisch-griechischen Grenze spielen sich dramatische Szenen ab. Medien benutzen Frontex-Vokabular um darüber zu berichten

Dieser Text ist am 05. März 2020 in der taz - Die Tageszeitung erschienen und kann online hier nachgelesen werden.

Wörter leiten unsere Gedanken. Darum sind politische Begriffe in der Regel gut durchdacht – oder wie es heute heißt – sie sind geframed. Aber was sind politische Begriffe und was nicht? Für Medien ist diese Frage wichtig. Denn politische Begriffe sind nicht neutral. Sie bedürfen der Analyse und der Einordnung. Es gibt politische Wortbildungen, die sind offensichtlich: Das „Gute Familien Gesetz“ oder die „Respekt-Rente“. Ziel beider Wortbildungen ist es, dass Rezipienten am Ende eine von der Politik gewünschte Perspektive einnehmen. Es handelt sich um ein Akzeptanz-Framing. Wörter wie „Flüchtlingswelle“, „Migrationsansturm“, „Invasion der Messermänner“ sollen hingegen Ablehnung auslösen. Auch sie sind relativ schnell als politische Begriffe erkennbar.

Es ist nicht immer einfach solche Framings aufzudecken, denn Frames sind sogenannte Texttiefenstrukturen. Das heißt, sie sind im Gegensatz zu Wörtern nicht an eine einzige Form gebunden, sondern können durch eine Vielzahl an Wörtern und Bildern ausgelöst werden. Durch diese Formenvielfalt ist es mitunter schwer Frames zu erkennen. Das gilt besonders für Wörter, an die wir bereits gewöhnt sind. So kann es vorkommen, dass die Medien ungewollt ein Framing und damit Denkmuster verbreiten, die sie gar nicht verbreiten wollen.

Derzeit nutzen deutsche Medien das Wort „Grenzschutz“, um über die Fluchtbewegungen aus Syrien zu schreiben. Zu lesen ist: „EU-Grenzschutz: Frontex schickt Verstärkung an die griechische Grenze“ (Zeit-Online). „Türkei verstärkt Grenzschutz“ (Tagesschau). In diesem Zusammenhang jedoch gehört das Wort „Grenzschutz“ zumindest in Anführungsstriche. Diese Praxis ist aber eine mediale Seltenheit.

Die in dem Wort „Grenzschutz“ enthaltene Schutzmetapher löst ein Framing aus, das die Kriegsflüchtlinge als „Bedrohung“ darstellt. Die Medien sind sich keiner Schuld bewusst, schließlich sei FRONTEX die „Europäische Grenzschutzagentur“. Mehr noch, es ist vollkommen unstrittig, dass Grenzen vor bestimmten Bedrohungen zu schützen sind. Das Schutz-Framing versagt jedoch bei Kriegsflüchtlingen. Schutzsuchende Menschen können keine Länder bedrohen.

Schwer rauszukommen

Das Grenzschutz-Framing ist eine unauffälligere Variante des Wortbildes der „Festung Europa“, das seit Jahren von rechts etabliert wird. Aber es ist – im Kontext von Kriegsvertrieben – das gleiche Framing mit der gleichen Wirkung, eben nur in anderer Form. Es zahlt kräftig auf den Slogan der sogenannten „Identitären Bewegung“ ein, der lautet „Festung Europa – Macht die Grenzen dicht.“

Ist der Frame aktiv, ist es - auch für die Medien - schwer herauszukommen. Das Bedrohungsszenario findet sich dann in weiteren Wortbildungen wieder, wie die folgende Titelzeile zeigt: „Flüchtlinge: Frontex erwartet Massenmigration nach Griechenland“ (Die Zeit, Die Welt). Nein, es ist keine „Massenmigration“, es sind „viele Kriegsvertriebene“.

Die ganze Falschheit und damit Tragik des Framings zeigt sich in solchen Überschriften: „Grenzschutz soll Syrer erschossen haben“ (Münchner Merkur) und „Griechische Grenzschützer erschießen Flüchtling“ (Focus). Diese Überschriften sind nur sinnvoll, wenn die vertriebenen Menschen eine ernstzunehmende Bedrohung sind. Die undistanzierte mediale Wiedergabe des FRONTEX Sprachgebrauchs zeigt, Europa ist in der Tat bedroht.

Es wäre wünschenswert, Medien thematisierten diesen sogenannten Grenzschutz auch als Angst- oder Abschottungspolitik, als Politik der unterlassenen Hilfeleistung.


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Gepostet von Wortgucker am Freitag, 6. März 2020