Böses Framing beim Coronavirus
Dieser Text ist am 13. März 2020 bei Übermedien- Das Magazin erschienen und kann online hier nachgelesen werden.
Genauso rasant wie das Corona-Virus in Europa verbreitet sich der Begriff "social distancing" in den Medien. Gemeint ist damit, dass man zwei Meter Abstand von anderen Menschen halten sowie Versammlungen und Veranstaltungen meiden soll, um sich nicht mit dem Virus anzustecken. Trotz seines anscheinend wissenschaftlichen Ursprungs führt der Begriff jedoch in die Irre. Im Deutschen wie im Englischen.
Treffender hieße es „spacial/physical/bodily oder public distancing“. Denn um Ansteckungen zu verhindern, empfiehlt sich räumliche, physische oder körperliche Distanz. Es geht um Kontakt-Reduktion, um Körper-Abstände, physische Kontakte, das Meiden von Versammlungen. Es geht nicht um eine Reduktion von Beziehungen oder sozialen Interaktionen. Das ist in einer digitalen Welt nicht mehr nötig.
Griff ins Klo
Sozial ist, was menschliche Beziehungen betrifft. Und Beziehungen sind gerade sehr wichtig, auch wenn man körperlich auf Abstand geht. Einige behaupten nun, der Begriff sei doch längst etabliert. Das ändert jedoch nichts an der Kritik. Auch bei der Wortfindung können Virologen mal ins Klo greifen. Einige besonders Wohlmeinende lesen aus „social distancing“ Folgendes heraus: Weil man andere schützen wolle – also aus sozialer Sorge –, baue man körperliche Distanz auf. Dies scheint mir ziemlich weit hergeholt und klingt eher wie eine nachträgliche Begründung eines misslungenen Begriffs.
Viel wahrscheinlicher ist eine sprachgeschichtliche Erklärung. Das unglückliche Framing basiert auf einem häufigen sprachlichen Fehlschluss. Wo Nähe herrscht, gibt es in der Tat oft gleichzeitig Beziehungen, herrscht Miteinander und Gemeinschaft. Aber die Koexistenz von Nähe und Sozialem bedeutet nicht zwingend Kongruenz. Das ist wie bei zeitgleichen Dingen, denen fälschlicherweise Kausalität unterstellt wird.
Altes Konzept von Nähe und Beziehung
Nähe und Beziehungen treffen zwar oft zusammen, aber eben nicht immer und in unserer digitalen Welt immer weniger. Das Konzept von Nähe und Beziehung wurde spätestens durch das häusliche Telefon neu geschrieben. Aber das ist in unserer Sprache noch nicht vollends angekommen. Die Digitalisierung ermöglicht es uns seit Jahren, sozial zu sein, private und geschäftliche Beziehungen im Guten wie im Schlechten zu pflegen, ohne einander physisch nahe zu sein. Eine unglaubliche Chance, auch in Krisenzeiten, wie das Coronavirus gerade zeigt.
Darum ist es an der Zeit, die Konzepte von Nähe und Sozialem sprachlich besser zu trennen. Daran ändert sich nichts, wenn einige meinen, dass Wort werde ja nicht zwingend falsch verstanden. Das stimmt, denn Sprache ist ja nicht trennscharf. Man versteht schon das Nötige, aber – und das ist die Kritik – man versteht mitunter auch mehr, als eigentlich gemeint ist.
Aus „Halten Sie Abstand zu anderen Menschen und Versammlungen“ wird in diesem Framing schnell „meiden Sie Sozialkontakte“. Angela Merkel rät in ihrer Pressekonferenz „auf Sozialkontakte zu verzichten“. Sofort wird das Framing in nahezu allen Medien wiederholt und liefert die Begründung für echte Handlungen von echten Menschen.
Die Gleichsetzung von Nähe und Sozialem führt bei einer Reduktion des einen zu einer Reduktion des anderen. Eben weil sich Menschen an Wörtern orientieren. Das betrifft nicht alle Menschen. Einige Zeitgenossen jedoch versehen ihr Streben nach räumlicher Distanz gegenüber Hüstelnden bereits mit wüsten Beschimpfungen, Naserümpfen und dergleichen mehr.
Der Begriff „social distancing“ verstellt den Blick darauf, dass wir auch freundlich bleiben sollten, wenn wir abrücken.
Armin Laschet sagte in seiner drängenden Ansprache an die Bevölkerung am Freitag:„Alle sozialen Kontakte werden in der nächsten Zeit ruhen müssen.“
Ich möchte antworten: Nein, müssen sie nicht. Telefoniert, schreibt Euch Mails und Nachrichten, macht Videoanrufe. Bleibt zusammen. Und bleibt freundlich, wenn ihr auf Abstand geht. Oder wie die dänische Ministerpräsidentin am selben Tag sagte: „Jetzt müssen wir zusammenstehen, indem wir Abstand halten.“
Das ist in der digitalen Welt leichter als je zuvor.
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☝️Vorsicht Böses Framing beim #Coronavirus. Alle sagen "Social Distancing" und meinen damit, dass man Abstand von...
Gepostet von Wortgucker am Donnerstag, 12. März 2020